Demokratie der Phantasie! Ein Manifest

Die Charta des PEN International beginnt mit der Feststellung, dass Literatur keine Grenzen kennt. Gemeint sind damit sowohl die wirklichen als auch, nicht weniger wichtig, die nur eingebildeten Grenzen.

Der PEN tritt Vorstellungen von nationaler oder kultureller Reinheit entgegen, die Menschen darin hindern sollen, einander zuzuhören, voneinander zu lesen und zu lernen. Eine der tückischsten Arten der Zensur ist die Selbstzensur – wenn die Furcht, sich angreifbar zu machen, Mauern um die Vorstellungskraft errichtet.

Der PEN ist der Auffassung, dass die Phantasie es Schriftsteller/innen und Leser/innen erlaubt, den eigenen Platz in der Welt zu transzendieren und um die Vorstellungen anderer zu erweitern. Für etliche Schriftsteller/innen war dieser eigene Platz in der Welt das Gefängnis. Sich etwas anderes vorstellen zu können bedeutete für sie innere Freiheit; oft ermöglichte es erst, zu überleben.

Die Vorstellungsgabe ist das eigentliche Gebiet aller Entdeckungen. Ideen kommen dadurch in die Welt, dass jemand sie hat. Die tiefste menschliche Erfahrung siedelt oft dort, wo die Widersprüche der Metaphern und Vergleiche zusammenfließen.

Seit bald einhundert Jahren steht der PEN für die Freiheit des Ausdrucks. Der PEN verteidigt und glaubt an die Freiheit der einfühlenden Vorstellung. Dabei erkennen wir an, dass es Vielen bisher nicht möglich war, die eigene Geschichte zu erzählen.

 

PEN INTERNATIONAL VERTRITT DIE FOLGENDEN GRUNDSÄTZE:

  • Wir verteidigen die Phantasie.
    Wir glauben, dass sie frei ist wie die Träume.
  • Wir erkennen die Schranken, die so Viele daran hindern,
    ihre eigene Geschichte zu erzählen.
    Wir trachten danach, diese Schranken abzubauen.
  • Wir glauben, dass die Vorstellungskraft sich in jede menschliche Erfahrung einfühlen kann.
    Beschränkungen nach Zeit, Ort oder Herkunft lehnen wir ab.
  • Wir wissen, dass Versuche, die Vorstellungskraft zu kontrollieren Fremdenangst, Hass und Spaltung hervorbringen können.
  • Die Literatur übertritt alle wirklichen und eingebildeten Grenzen.
    Ihr Reich ist stets universell.


Einstimmig verabschiedet auf dem 85ten PEN-Weltkongress,
am 2. Oktober 2019 in Manila, Philippinen

Eingebracht von

Jennifer Clement, Präsidentin PEN International
Per Wästberg, ehemaliger Präsident PEN International,
Vorsitzender des Komitees für den Literaturnobelpreis
Eric Lax, Vizepräsident PEN International
Nayantara Sahgal, Vizepräsidentin PEN International
Ngugi wa Thiong’o, Vizepräsident PEN International
Paul Muldoon, Präsidiumsmitglied PEN Amerika

Übersetzt von Joachim Helfer

 

Hier können Sie das Manifest des internationalen PEN im originalen Wortlaut nachlesen.