Ein Bericht von Andreas Rumler,
Förder- und Freundeskreisbeauftragter des PEN Deutschland,
über die Trauerfeier für unseren ehemaligen Generalsekretär Heinrich Peuckmann

Heinrich Peuckmann
Als wir morgens in Kamen anreisten, schweren Herzens, und mit dem Wagen vor der Lutherkirche in der engen Kampstraße standen, unschlüssig, wo man parken könne, nach Hilfe Ausschau haltend, wurde uns sofort klar, warum Heinrich Peuckmann seine Stadt geliebt hatte und was er wohl vielen Bürgern bedeutet haben mochte, wie nah er ihnen stand: „Wollt ihr zu Heinrich?“ fragte spontan ein freundlicher älterer Herr, noch ehe wir in der Lage waren, das Auto auch nur zu wenden und zeigt uns gleich den Weg zum Parkhaus. Liebenswürdig und hilfsbereit haben wir die Menschen dort an dem Vormittag mehrfach erlebt und genau so einer war Heinrich Peuckmann. Vor der Kirche hatte sich bereits, lange vor dem Beginn der Trauerfeier, eine größere Gruppe versammelt.
Ein sonniger Morgen, mild und warm, vor den Cafés saßen Gäste bei Kaffee und Säften zum Frühstück, genossen Croissants, belegte Brötchen und allerlei Kuchen. Fast bis auf den letzten Platz besetzt waren die Bänke der Lutherkirche, auch von deutlich jüngeren Leuten: seinen Schülern. Mehrfach kamen Helfer und baten, doch noch ein wenig enger zusammen zu rücken. So viele Menschen waren gekommen, Abschied zu nehmen. Heinrich Peuckmanns Freunde und Kollegen waren von weit her angereist, hatten vor Ort übernachtet, um ihm ein letztes Mal nahe sein zu können. Beeindruckend war, wie viele Personen hier noch einmal gemeinsam erschienen waren, ihm ein letztes Mal in seiner Heimat zu begegnen. Auch die Bürgermeisterin der Stadt Kamen, Frau Elke Kappen, war anwesend.
Bekannt war er war in der Stadt, sein Elternhaus steht in der Nähe der Lutherkirche. Seine Söhne berichteten, dass es Zeit gekostet habe, mit ihm durch die Straßen Kamens zu flanieren, weil er immer wieder von Bekannten, viele seiner Schüler darunter, angesprochen wurde. Verdient gemacht hat er sich um seine Heimatstadt, weil er dort häufig Lesungen und andere Kulturveranstaltungen organisierte. Nicht zuletzt für den PEN. Und auch unsere Stipendiaten betreute er gemeinsam mit Freunden hier vor Ort. Dieses soziale Anliegen, Menschen einander nahezubringen, ihr Leben und ihre Arbeitsbedingungen im Blick zu behalten, durchzieht Heinrich Peuckmanns literarische Arbeit von Beginn an. Erstmals begegneten wir uns auf Tagungen des gewerkschaftsnahen Werkkreises „Literatur der Arbeitswelt“ Ende der 70er Jahre, etwa in München. Legendär war Heinrich Peuckmanns Gastfreundschaft, wenn er in seinem Garten zu Grillfesten einlud.
Auch als Gymnasiallehrer war Heinrich Peuckmann sich seiner Nähe zur arbeitenden Bevölkerung stets bewusst. Als er uns anlässlich einer P.E.N.-Tagung durch ein museales Zechengelände in Dortmund führte, angepriesen als: „Eine Ikone der Industriekultur aus Stahl und Glas ist die Maschinenhalle mit dem buntverglasten Jugendstilportal. Entdecken Sie die „Schönste im ganzen Land“, schauen Sie hinter die prunkvollen Backsteinfassaden“ – gemeint war die Zeche Zollern –, erzählte er amüsiert, wie er den Eltern eines Schülers einmal seine Rolle als Lehrer verdeutlicht hatte: „Gesagt habe ich ihm: ‚Sie sind doch Steiger, Ihr Wort gilt unter Tage.‘ Hier oben, vor der Klasse, bin ich der Steiger.‘ Und das hat ihn überzeugt.“
Orgelklänge stimmten die Trauergemeinde ein, Kerzen brannten, ein Bild zeigte Heinrich Peuckmann neben dem Altar. Und seine drei Söhne Lukas, Simon und Niklas hatten eine unglaublich liebenswürdige Idee gehabt, dem Geist und Charakter ihres Vaters entsprechend. Symbolisch hatten sie einen Schreibtisch aufgebaut, einen leeren Stuhl davorgestellt, als hätte der Autor seinen Arbeitsplatz eben für eine kurze Pause verlassen. Blumen schmückten den Tisch, auf einer kleinen Staffelei hatten sie eines seiner Gedichte aufgestellt: „Verweht“ heißt es. Mit der Endlichkeit beschäftigte er sich darin. Es beginnt: „Was wird bleiben/ da in den Bäumen die Zeit weht// Nicht das Blatt, auf dem ich schreibe/ nicht der Stuhl, auf dem ich sitze/ nicht der Boden, der unter meinen Füßen knarrt“ und endet: „Ein Wort wird bleiben/ gesprochen zwischen uns/ verweht im Bruchteil/ der Sekunde.“
Einige Bände seines großen Œuvres standen und lagen auf dem Tisch, Papier und Stifte daneben, eine Kerze brannte. Die Symbolik des leeren Stuhls war hier leider gleich doppelt sinnvoll. Einerseits weisen wir im PEN mit Bildern verfolgter Autoren auf diesem leeren Stuhl auf das Schicksal von Kollegen hin, die gewaltsam zum Schweigen gebracht werden. Andererseits fühlte auch er sich verfolgt, weil er nach mehreren erfolgreichen Amtszeiten im Vorstand gegen Ende seiner Arbeit für den PEN in übler Weise beschimpft und verleumdet worden ist, in einem Umfang, wie man ihn in einem Autorenverband nicht für möglich halten sollte. Diese Infamien und Intrigen haben seiner Gesundheit sehr geschadet.
Stolz war Heinrich Peuckmann auf seine Familie, bangte mit, wenn es den Enkeln gerade nicht gut ging, hatte noch vor wenigen Monaten mit Genugtuung berichtet, dass sein Sohn Niklas als Pastor einen Weihnachtsgottesdienst gestaltet hatte. Dass ihm jetzt die Aufgabe zufallen sollte, diesen Abschied zu zelebrieren, wäre Niklas Peuckmann damals wohl noch nicht in den Sinn gekommen. Wie er das mit fester Stimme souverän meisterte, innerlich gewiss zerrissen und verzweifelt, war schon beeindruckend. Dietrich Bonhoeffers Lied „Von guten Mächten wunderbar geborgen“ erklang und trug dazu bei, die Trauer und den Schmerz erträglicher werden zu lassen.
Großartig ergänzten sich die Beiträge zweier Kolleginnen. Unsere frühere Präsidentin Regula Venske, vor Heinrich Peuckmann hatte auch sie längere Zeit das Amt der Generalsekretärin in Deutschland inne und setzt sich inzwischen für den PEN-International ein als International Secretary, nimmt die Aufgaben einer Generalsekretärin unseres internationalen Dachverbandes wahr, sie ließ noch einmal die gemeinsame Arbeit seit 2013 Revue passieren und richtete der Familie und allen Freunden im deutschen PEN einen Beileidsgruß des internationalen PEN-Präsidenten Burhan Sönmez aus. Regula Venske, seit 2015 Mitglied des Boards, repräsentierte den internationalen Charakter unseres Vereins. Und sie zitierte unseren Ehrenpräsidenten Christoph Hein: „Er stritt und kämpfte unverdrossen, so sehr ihn auch Angriffe auf seine Person verletzten und seine Gesundheit ruinierten. Ohne Leute wie Heinrich Peuckmann hätte unser PEN niemals seine Arbeit und seine Pflichten so zweifelsfrei, korrekt und umfassend erfüllen können.“
Seine Herzenswärme und menschliche Nähe hob Regula Venske hervor: „Der Generalsekretär solle als eine Art Feel good-Manager wirken, las ich einmal, und so haben Hermann Korte – der langjährige Schatzmeister des PEN – und ich Dich denn auch manchmal im Scherz genannt: unseren Feel good-Manager.“ Abschließend zitierte und variierte sie Matthias Claudius, erinnerte an dessen Gedicht „Bei dem Grabe meines Vaters“, war Heinrich Peuckmann doch für viele unserer Kollegen angesichts seiner freundschaftlichen Natur durchaus so etwas wie ein Bruder oder Vater: „Ach, sie werden / Einen guten Mann begraben, / Und mir – uns – war er mehr …“
Wandte Regula Venske sich dem gemeinsamen Engagement für den PEN zu, so verband Petra Reski auch die Herkunft mit Heinrich Peuckmann, und zwar in mancherlei Hinsicht. Beide wuchsen sie in Kamen im Ruhrgebiet auf, teilten Erfahrungen als Kinder von Bergleuten. Etwa die Sorge um das Schicksal der Hauer unter Tage. Petra Reski begann mit einer Erinnerung: „Kommse vorbei, wennze bei deiner Mamma biss?, fragte Heinrich immer, wenn ich einen Besuch im Ruhrgebiet ankündigte.“
Damit war ein Ton gesetzt, der dieser Abschiedsfeier ihre Schwere und Bitterkeit nahm. Und sie fuhr fort: „Heinrich Peuckmann gehörte für mich zu meiner Heimatstadt Kamen wie die Zeche Monopol, auf der mein Vater starb. Jenes Schattenreich aus Fördertürmen, Zechensiedlungen, rußgeschwärztem Backstein und Kohlenhalden war es – auch – das uns verbunden hat: Wir sind beide Kinder von Bergmännern. Heinrich beschloss früh, Schriftsteller zu werden – ein Berufswunsch, der in einer Bergmannsfamilie ungefähr ähnlich ernst genommen wird wie der Wunsch, Balletttänzer zu werden.“ Er habe sich eingesetzt, „dass die Literatur nicht nur über das Ruhrgebiet, sondern auch im Ruhrgebiet weiterlebte – und das, als hier noch keine Spur war von Literaturbüros, Literaturhäusern, Literaturfestivals.“
Konkret bedeutete das ein Engagement für Kamen: „Literatur muss nicht zwingend nur in Großstädten stattfinden, fand Heinrich – und so stellten syrische, russische, eritreische, irakische, belarussische und kurdische Schriftsteller in Kamen ihre Werke vor. Als Schülerin hätte ich mir ein so vielfältiges Literaturprogramm gewünscht, wie es Heinrich in Kamen mit seinem Freund Bernhard Büscher vorangetrieben hat.“ Dass Petra Reski inzwischen mit ihren Büchern und Filmen international Bekanntheit erlangt hat, weil sie mit journalistischen und literarischen Mitteln gegen die Mafia und für den Erhalt und Bestand Venedigs kämpft, belegt einmal mehr, dass Kamen offenbar ein guter Ausgangspunkt für Literaten und Literatur ist – aber darauf wies uns Heinrich Peuckmann ja schon seit Jahren hin. Stets war ihm der humane Aspekt wichtig, sagte Petra Reski: „In Heinrichs Werk spüren wir in jeder Zeile seine Zärtlichkeit, seine tiefe Menschenliebe, seine Selbstlosigkeit.“
Das wurde mir einmal mehr deutlich nach der Feier, als sich die Trauergemeinde in ein nahe gelegenes Café zurückgezogen hatte, auch wieder auf seinen Spuren, es handelte sich um eines seiner Lieblingsrestaurants, und sich dort die Gelegenheit ergab, mit Freunden und Kollegen Erfahrungen und Erlebnisse auszutauschen. An einem Tisch kam ich mit drei jungen Männern ins Gespräch, ehemaligen Schülern, wie sich rasch herausstellte. Begeistert waren sie von ihm noch lange nach ihrem Abitur. Er habe ihnen viel gegeben für den weiteren Lebensweg. Einer berichtete, eigentlich hätte er die Anzahl der für das Abitur notwendigen Hauptfächer bereits belegt, aber den Wunsch verspürt, darüber hinaus, quasi neben seiner Pflicht auch noch den Kurs von Heinrich Peuckmann im evangelischen Religionsunterricht zu besuchen, als eine Art Kür gewissermaßen. Das habe Heinrich Peuckmann gern unterstützt. Es dürfte nicht sehr viele Lehrer geben, an die ihre Schüler sich wirklich anerkennend erinnern. Sie werden ihn nicht vergessen und genau so geht es uns: Wir werden ihm ein dankbares und ehrendes Andenken bewahren.