Darmstadt, 9. Januar 2023
Sehr geehrte Frau Außenministerin Baerbock,
inmitten aktueller Brennpunkte wenden wir uns mit einem dringenden Anliegen an Sie, denn nicht nur in der Ukraine sterben Menschen, Henker sind auch anderswo tätig, und Ihre Äußerungen zu den Hinrichtungen im Iran dieser Tage, Ihre Reden für Oppositionelle und Menschenrechtler, haben Gewicht.
Seit vier Monaten erreichen uns aus dem Iran bestürzende Nachrichten:
Der 23jährige Mohsen Shekari hingerichtet, Majidreza Rahnavard öffentlich gehängt, der inhaftierte Blogger Hossein Ronaghi in kritischem Gesundheitszustand, Rapper Toomaj Salehi gefoltert, der kurdische Rapper Saman Yasin zum Tode verurteilt, Hinrichtungen, Folter, Scheinprozesse, über 450 Demonstranten getötet, über 18 000 seit September verhaftet, und die Gewalt hat kein Ende. Wir wissen, die Todesurteile und brutalen Festnahmen sind Strafe und Abschreckung, um führende Stimmen der Zivilgesellschaft zum Schweigen zu bringen und klarzumachen, dass Menschenrechte wie die Meinungs- und Informationsfreiheit in Iran nichts gelten. Die Eskalation der Lage erinnert fatal an die Hinrichtungen und den staatlichen Terror der 1990er Jahre.
Seit Beginn der Proteste erklärt sich das deutsche PEN-Zentrum immer wieder solidarisch mit Bürger:innen in Iran, die um ihre Menschenrechte ringen. Zielscheibe des Regimes, seiner Unrechtsurteile und barbarischen Exekutionen sind insbesondere Intellektuelle, Künstler:innen, Schriftsteller:innen, kurz: Menschen des Wortes, für die wir uns einsetzen. Der iranische Schriftstellerverband kämpft seit Jahrzehnten gegen Zensur und Repression.
Atefeh Chaharmahalian, Dichterin und Aktivistin, war Vorsitzende des iranischen Schriftstellerverbands und half Kindern wie Erwachsenen in Not, in Kurdistan und Teheran. Am 3. Oktober wurde sie mit anderen in Teheran festgenommen. 71 Tage war sie in Haft im Evin-Gefängnis, anfangs in bedrückender Enge, fast ohne Kontakt zu ihrer Familie, ohne dringend notwendige medizinische Versorgung. Erst spät konnten sich ihre Anwältinnen bei Gericht registrieren lassen. Am 13. Dezember kam Atefeh Chaharmahalian, für die sich der deutsche PEN mit Unterschriftenaktionen und Briefen an die iranische Botschaft in Berlin vehement eingesetzt hatte, gegen eine hohe Kaution frei. Jetzt wurde ihr Urteil zugestellt: zwei Jahre und acht Monate Haft, ausgesetzt auf fünf Jahre, in denen sie sich in keiner Weise öffentlich äußern darf, auch nicht mit einem Gedicht. Für die Autorin und Aktivistin ist das ein sozialer Tod, sie wird unsichtbar gemacht, verstummt und verschwindet.
Mozghan Kavousi, Schriftstellerin, Sprachforscherin, Aktivistin, wurde am 22.September in ihrer Wohnung verhaftet, nachdem sie schon 2020/ 2021 für 21 Monate im Gefängnis gewesen war und zwei Hungerstreiks überstanden hatte – immer unter Verdacht als Frau, als Nicht-Muslimin und Anhängerin der kurdischen Yarsani-Religion und wegen ihrer Forschung und Lehrtätigkeit zur Pflege der kurdischen Sprache. Die Anklage lautete: „corruption on earth“, damit meinen Vertreter der Revolutionsgarden den Verstoß gegen die Scharia und göttliche Gesetze auf Erden; Dazu kommen Anschuldigungen wie die Beleidigung der Regierung, Propaganda gegen das Regime, Untergraben der nationalen Sicherheit, Kollaboration mit feindlichen Regierungen. Gerade wurde sie zu 59 Monaten Gefängnis verurteilt, mindestens aber zu 39 Monaten.
Die Justiz ist im Iran Teil des Repressionsapparates, wir dürfen da nicht tatenlos bleiben.
Soroush Mozaffar Moghadan, Schriftsteller, Journalist und Aktivist floh im November 2022 in die Türkei und strandete dort, wie viele andere Autor:innen. Ihre Visa laufen ab, sie sollen in den Iran zurück, um ein Visum für Deutschland zu beantragen, landen in der Illegalität, haben keinerlei Einkommen, erkranken, wissen nicht weiter, leben in Angst, weil türkische und iranische Polizei und Geheimdienste kooperieren. Wie kann es für sie weitergehen?
Soroush Mozaffar Moghadan, Mozghan Kavousi, Atefeh Chaharmahalian stehen stellvertretend für den Kampf um Meinungsfreiheit, Sprache und Identität.
„Mein Volk ist verwundet, und die Wunde blutet“, sagte der Schriftsteller Amir Cheheltan im PEN-Podcast. Auch wenn die Brutalität durch nichts zu stoppen scheint, wollen wir handeln.
Sie, werte Frau Ministerin, sprachen mit Blick auf Sanktionen gegen Verantwortliche im Iran, völlig zu Recht, von „unglaublichen Verbrechen“.
Wir fordern: Solidarität und Humanität für die Protestierenden in Iran:
- Geben Sie den „unglaublichen Verbrechen“ ein Gesicht:
- Nennen Sie die Opfer beim Namen und fordern sie ihre Freilassung
- Erleichtern Sie legale und rasche Einreisemöglichkeiten nach Deutschland/ in die EU für oppositionelle Autor:innen, denen im Iran hohe Strafen drohen und für jene, die vor Haft und Folter flohen, unterwegs strandeten, in der Türkei etwa erneut bedroht sind und vergeblich im deutschen Konsulat um Hilfe und einen Termin bitten
- Ermöglichen Sie für iranische Oppositionelle ein spezielles Kontingent-Programm, wie für Ukrainer oder für Ortskräfte aus Afghanistan, ohne langwierige Bürokratie
- Unterstützen Sie Stimmen der Zivilgesellschaft in Iran – auch finanziell
- Helfen Sie denen, die für das freie Wort im Iran eintreten
- Schaffen Sie Fluchtmöglichkeiten und Lebensräume, die letztlich Menschenleben retten.
Mit freundlichen Grüßen,
Cornelia Zetzsche Michael Landgraf
PEN-Zentrum Deutschland PEN-Zentrum Deutschland
Vizepräsidentin – Writers in Prison/ Generalsekretär
Writers at Risk Beauftragte