Die PEN-Jahrestagung 2023 in Tübingen unter dem Motto „…Verteidigung von Kunst, Traum und Phantasie…“ (Walter Jens) ist vorbei. Eine Woche voller Veranstaltungen, voller Begegnungen, voller Erfahrungen. Sehr eindrücklich, sehr nahbar waren alle Beteiligten. Drei Studierende berichten über ihre Eindrücke der PEN-Tagung.
Junger Wind
Franziska Holly Geiß
Mit Nancy Hünger, Leiterin des Studio Literatur und Theater der Universität Tübingen, fing es an. Sie bat Alexander Schwab und mich, die erste Veranstaltung zu moderieren. “Der PEN auf dem Weg nach morgen” war ein Gespräch zwischen Nancy Hünger, Gründungsmitglied des aspiring PEN Berlin, und José F.A. Oliver, dem Präsident des PEN-Zentrums Deutschland. Erst durch die Vorbereitung auf diese Moderation erfuhr ich mehr über die Hintergründe des PEN und begann mich für die Aufgaben des PEN zu interessieren. Mir war schon oft aufgefallen, dass selbst in Seminaren der Literaturwissenschaften, PEN kaum ein bekannter Begriff zu sein scheint. Auch ich kann erst seit kurzer Zeit behaupten, zu wissen, was der PEN eigentlich ist. Die Aufregung vor der Moderation war groß, eine Mischung aus Ehrfurcht vor der Thematik und den Persönlichkeiten. Meine Anspannung verflog schnell. Das Gespräch verlief ganz anders als erwartet, statt fliegenden Fetzen wurde Hoffnung vermittelt. Die Hoffnung auf Modernisierung, auf Zusammenarbeit, auf jungen Wind. Bei allen Veranstaltungen wurden wir Studierende interessiert und herzlich aufgenommen, doch kaum ein Publikum wies mehr als eine Handvoll Personen unter 30 auf. Um zu modernisieren, braucht eine Vereinigung neue Menschen, junge Menschen, eine gewisse Diversität. Das ist der Reichweite in ebendiesen Kreisen zuträglich. Wie ist es jungen Menschen möglich, Fuß in der Literaturwelt zu fassen? Durch Verbindungen und Bekanntschaften. Und ein kleines bisschen Glück. Wir hatten durch einige Zufälle die Möglichkeit, einen Zipfel dieser Welt zu greifen. Aber wie geht es jetzt weiter? Müssen wir erst 65 Jahre alt werden, um mitwirken zu dürfen? Braucht der PEN nicht unsere jungen Stimmen, um sich innovativ nennen zu dürfen? Die Programme “Writers-in-Exile” und “Writers-in-Prison” unterstützen Autor*innen, ob jung oder alt, sollte sich das nicht auch in der Liste der Mitglieder spiegeln? Das Alter ist eventuell bei der Menge der Veröffentlichungen ausschlaggebend, nicht jedoch bei der Motivation, die Welt zu verändern und für die Freiheit des Wortes einzustehen.
Was jedoch gesagt werden muss, ist, dass José Oliver einen Volltreffer gelandet hat mit seinem “Tübinger Modell”. Es gab die Möglichkeit, ein wenig hinter die hohen Mauern des PEN zu blicken und sogar zu interagieren. Fragen aus dem Publikum waren bei vielen der Veranstaltungen gern gesehen. Auch nach den Veranstaltungen wurden wir Studierende gern in die Gespräche mit eingebunden. Es war eine Atmosphäre zum Wohlfühlen. In dem Gespräch zwischen José Oliver und Ilja Trojanov konnte ein Ausblick auf das Jetzt und in die Zukunft erhascht werden. Der PEN möchte sich wandeln. Moderner, diverser, jünger, offener werden.
In Tübingen wurde ein Schritt in diese Richtung vorgenommen. Der PEN hat mit den Exil-Gesprächen und den Lesungen seine Tore geöffnet, für mehr Bekanntheit und Interaktion gesorgt, Meinungen von außen aufgenommen. So sollte es weitergehen. Eine Vereinigung profitiert von Diversität. Viele Meinungen erweitern den Horizont. Junge Menschen bringen neue, moderne Gedanken; und das braucht der PEN auf dem Weg nach morgen. Die Jugend. Die Zukunft.
In einen Kaninchenbau gezogen worden…
Julian Seeger
Aus der Stadt herausgezogen werden. Nie hätte ich am Montag, als ich zur Auftaktveranstaltung ging, damit gerechnet, im Laufe der Woche immer tiefer in ein ‚Rabbit Hole’ zu gelangen. Tübingen aber wirkte mit jedem Tag mehr und mehr anders auf mich. Zunehmend unbekannter, die Uni schien meilenweit entfernt.
Gleichzeitig tiefer in die Stadt geführt werden. An Orte, an denen ich vorher noch nie war. Das Weltethos-Institut, den Club Voltaire, die Westspitze. Ein Ankommen in einem Kreis von Personen mit dem gleichen Interesse: Schreiben. Die herzliche Aufnahme in Gesprächen mit PEN-Autor:innen abseits der Bühne, bei einem Glas Wein, dem Angebot einer Zigarette oder zwischen den Stuhlreihen des Publikums nach einer Veranstaltung. Manchmal auch zufällig vor einer Apotheke oder spontan stundenlang vor dem Hotel. Sprechen über Erfahrungen am Leipziger Literaturinstitut, die Wahl der Perspektive in einem Jugendbuch. Gespräche auf Augenhöhe, die auch Interesse am Schreiben der Studierenden und am Studio Literatur und Theater (SLT) bekundeten. Einen aber auch immer wieder auf den Boden der Tatsachen zurückholten. Vom Schreiben leben: schwierig.
Die Offenheit, mit der uns begegnet wurde, bewegte mich ebenso wie das Mit-Teilen der Erfahrungen der ‚Writers in Exile‘. Berührende, emotionale Biografien und Erlebnisse. Von Verlusten, Gefängnissen, Attentaten, Kriegen, Zensur, Zerrissenheit, Diskriminierung, gemeinsamer Sprache als einem verbindenden Element, Heimatlosigkeit und ‚schönen Gedichten’. Immer verbunden mit der Frage, ob und wenn ja, wie das Exil das Schreiben der Exilant:innen verändert habe. Oft dachte ich noch lange über das Erzählte nach. Ich versuchte, möglichst viel davon zu behalten und freute mich auf den nächsten Tag, auf die nächste Begegnung mit den Schreibenden, deren Biografien und Werken, die meist Bezüge zueinander erkennen ließen.
Erfüllt von Dankbarkeit verließ ich jede Veranstaltung. Dankbarkeit darüber, in Sicherheit frei sprechen und schreiben zu können. Mit dem Gefühl, dass nicht nur in Tübingen Gegenwartsliteratur gepflegt und lebendig gehalten wird, dass Vernetzung über die eigene soziale ‚Bubble‘ hinaus möglich ist. Und mit der Erkenntnis, dass Tübingen mit Walter Jens und der Tradition, in der das SLT damit steht, auch über die Stadtgrenzen hinaus wertgeschätzt wird.
Der PEN auf dem Weg nach Morgen
Alexander Schwab
Ich hatte das Glück, zusammen mit Franziska Holly Geiß, direkt am Montag die erste Veranstaltung mit José Oliver und Nancy Hünger zu moderieren. Der PEN auf dem Weg nach Morgen. Dieser Veranstaltungstitel hat mich die Woche über begleitet. Wo will der PEN morgen stehen? Wo sind die jungen Stimmen im PEN? Und wie sollen junge Stimmen schon “bedeutende Verdienste um die Literatur erworben haben”? Dabei sind junge Stimmen wichtig, gerade für die Arbeit im PEN. Muss der PEN sich mehr öffnen? Braucht der PEN nicht auch junge Stimmen, die vielleicht noch nicht etabliert sind, aber vielversprechende Arbeit für die Freiheit des Wortes leisten wollen?
Writers-in-Exile und Writers-in-Prison sollen ja auch jungen Autor*innen Schutz bieten, die eventuell eben nicht im Blickfeld etablierter Autor*innen sind. Auch die deutsche Literaturlandschaft wandelt sich. Wer bekommt noch Werkverträge oder Vorschüsse? Wer kann wie vom Schreiben leben? Was kann eine Vereinigung von etablierten Literaturschaffenden dem Wandel entgegensetzen? Muss der PEN dem etwas entgegensetzen? Soll er sich dem Wandel anpassen? Soll er Teil des Wandels sein?
Das “Tübinger Modell” von Oliver ist aufgegangen. Immerhin einige junge Leute haben sich den PEN angeschaut, die einen intensiver, die anderen nur als Zaungäste. So oder so begegneten der PEN und dessen Mitglieder jedem Gast auf Augenhöhe, nicht als “UFO, das in der Stadt landet” und dann hinter verschlossenen Türen tagt, vielleicht noch eine kleine Lesung macht, die doch wieder nur von den Mitgliedern des PEN besucht werden. Die Tagung in Tübingen war da anders. Eine Ausstellung in der VHS, die mit dem Thema Migration genau dort ansetzen soll, wo diese stattfindet. Lesungen in Schulen und an der Universität. Die Exilgespräche wurden sehr gut angenommen und haben einen unmittelbaren Einblick in die wichtige Arbeit des PEN geboten. Auch das Gespräch zwischen José Oliver und Ilija Trojanow über die Freiheit des Wortes hat eine Perspektive auf die Zukunft des PEN in der heutigen Gesellschaft gegeben.
Wie könnte eine solche Zukunft aussehen? Was könnte der PEN leisten?
Auch diese Fragen gingen mir die gesamte Woche durch den Kopf. Der PEN, der sich um Offenheit bemüht, könnte sich tatsächlich öffnen, er könnte junge Engagierte, die Liebe zum Wort gerade entdeckende Menschen gut gebrauchen. Ein junger PEN, eine Symbiose aus gegenseitigem Lernen, so wie es beispielsweise am Studio Literatur und Theater der Universität Tübingen praktiziert wird. Diskurs unter Studierenden, zusammen mit einer literaturerfahrenen Leitung. Ganz im Sinne von Walter Jens, der, wie ich bei der PEN-Tagung gelernt habe, auch mal auf einer WG-Party auftauchte, aber gleichzeitig harter, disziplinierter und konstruktiver Kritiker war.
Der PEN hat in Tübingen bewiesen, dass es auch anders geht, dass er fähig ist, mehr gesellschaftliche Relevanz und Offenheit zu praktizieren. Aber alleine mit der Tagung in Tübingen ist dieser Wandel noch nicht vollzogen. Nichtsdestotrotz freue ich mich auf den Diskurs, der im PEN in Zukunft stattfinden wird. Vielleicht sogar als zukünftiges Mitglied eines “Jungen PEN”, wer weiß.