Alle seine Bücher zeigen Dževad Karahasan als einen Vermittler zwischen den Welten. Sein Plädoyer für Toleranz und für Literatur als das, was am Ende bleibt, entspricht ganz den Werten des PEN.
Auf einer Veranstaltung des deutschen PEN-Zentrums im Rahmen der Leipziger Buchmesse, forderte Tanja Maljartschuk noch den Nobelpreis für Dževad Karahasan. Nun ist der große Europäer, der Schriftsteller, Essayist, Philosoph, Theatermacher, ehedem Dramaturg am Nationaltheater in Sarajevo und Stadtschreiber in Graz, ein vielfach preisgekrönter Autor mit umfangreichem Werk, das zur Weltliteratur gehört, mit 70 Jahren gestorben.
Sein Ton war unverwechselbar. Sein Schreiben philosophisch grundiert. Dževad Karahasan kannte die Menschen und begegnete ihnen trotzdem gütig und mit Humor. Seine Bücher sind zeitlos und zeitgenössisch. Sie ankern in der bosnischen Hauptstadt und sind doch universal. Sein Schreiben vom Bosnienkrieg liest sich, als wäre es die Ukraine heute.
Sarajevo war und ist ein Schnittpunkt von Orient und Okzident. Hier lebten Bosniaken, Serben, Kroaten, Juden, Christen, Moslems und Atheisten friedlich, bis bosnische Serben 1992 die Stadt umzingelten, Kulturstätten wie die Nationalbibliothek in Brand setzten, alles verwüsteten und etwa 11 000 Menschen töteten. Sarajevo war der Dreh- und Angelpunkt für den Schriftsteller Dževad Karahasan.
In Deutschland wurde er preisgekrönt, in seiner Heimatstadt war er eine Ikone. Kein Gang durch Sarajevo, ohne nicht stets einem Freund, Gesprächspartner oder Bewunderer zu begegnen, Menschen, die sich in seinen Büchern wiederfanden.
Bekannt wurde Dževad Karahasan hierzulande 1993 als Chronist des Krieges. Im Grazer Exil, dem Bosnienkrieg entronnen, berichtete er in seinem berühmten „Tagebuch einer Aussiedlung“ von der Bombardierung Sarajewos, von der Zerstörung der Stadt, aber vor allem auch von der Zerstörung Sarajewos als Modell der Toleranz und der friedlichen Koexistenz von Ethnien, Religionen, Kulturen.
1953 in Duvno als Sohn muslimischer Eltern geboren, zur Schule gegangen bei Franziskanerpatres, studiert in Sarajewo, promoviert in Zagreb, wurzelte Dževad Karahasan in islamischen, christlichen, jüdischen Traditionen und im Wissen um das Erbe der Antike.
Er wohnte in Graz und Sarajewo, er lebte die Synthese von Orient und Okzident.
Viele seiner Romane erzählen von der Zerstörung des toleranten Zusammenlebens durch religiösen Fundamentalismus. Sein Opus Magnum, „Der Trost d. Nachthimmels“, geht dabei zurück ins 11. Jahrhundert. Sein Lebensthema waren innere und äußere Grenzen. Sein jüngster Roman, „Einübung ins Schweben“, erschien im Januar 2023 und handelt von den Grenzen der Freiheit. Karahasan führte noch einmal zurück in die 90er Jahre, ins Sarajewo des Bosnienkrieges und setzte den Menschen, die er dort kannte, ihrem Überlebenswillen und ihrer multikulturellen Lebensart ein einzigartiges Denkmal.
Cornelia Zetzsche