Anise Jafarimehr
Es gibt immer wieder Hände, die anderen Händen gehorchen. Ihre Aufgabe ist es, die Köpfe zu inspizieren. Immer mehr Hände, immer mehr Durchsuchungen und Hände und Durchsuchungen und wieder Hände.
Anisa Jafarimehr, aus: in der nie endenden bernsteinfarbenen nacht Verlag: Kursbuch Kulturstiftung
Die iranische Schriftstellerin, Sprachlehrerin und Kulturaktivistin wurde aufgrund ihrer schriftstellerischen Tätigkeit und politischen Arbeit zur Erhaltung der kurdischen Sprache und Kultur von iranischen Sicherheitskräften verfolgt.
Die kritische Aktivistin wurde bereits mehrfach verhaftet und sah sich physischer sowie psychischer Gewalt ausgesetzt.
Jafarimehr ist seit September 2021 Stipendiatin des Writers-in-Exile-Programms.
Hände im Schatten
Die Tür öffnete sich, die Wärterin stand mit dem Tablett auf der Türschwelle und rief: „Asra, komm, nimm dieses Tablett.“
„Warum hast du sie zerkleinert?“
„Rede nicht! Nimm es und gib jeder ein Stückchen.“
Asra stellte das Tablett voller Möhren in die Mitte des Raums. Die anderen Frauen, die alle mit etwas beschäftigt waren, drehten sich um, warfen einen Blick und lachten insgeheim.
„Immer ist es deine Schuld, Problemtante!“
„Wenn du damals nicht so ungeduldig gewesen wärest und eine Stunde gewartet hättest, wäre jetzt…“
Die beiden Wärterinnen und etwa zehn von den Frauen zerrten eine weitere Frau herein. Ich erwachte von ihrem Geschrei.
Ich beugte mich aus meinem Bett, damit ich sie besser sehen konnte. Die Frau, die mit dem Rücken zu mir stand, hielt den Gürtel ihrer Hose fest in der Hand, während zehn bis zwölf weitere Frauen versuchten ihr die Hose herunterzuziehen. Das war es, was ich an diesem Winternachmittag sah. Es war vergeblich, nach einem Moment zogen sie ihr die Hose herunter, nur der Hosengürtel blieb in der Hand der Frau.
Jede der Wärterinnen hatte eines der Beine gefasst und spreizten sie auseinander. Zwei der Frauen hatten auch ihre Ärmel hochgezogen. Raziyeh war die erste, die ihre Hände zwischen die Beine steckte. Ich war an meinem Platz wie gelähmt und ich weiss nicht, warum ich keinen Gedanken fassen konnte. Raziyeh schüttelte unzufrieden ihren Kopf und sagte nichts. In dem Moment ergriff Zeynab Raziyehs Schulter, zog sie zurück, ging nach vorn und mit dem Zorn, der in ihr schlummerte, presste sie ihren Unterarm bis zum Ellbogen zwischen die Beine. Die Frau atmete schwer, und sie konnte nichts tun. Die anderen Frauen taten dasselbe nachdem sie an der Reihe waren.
Die Wärterin mit dem rechten Bein der Frau schrie diese an: „Wo ist es, du schamlose Schlampe?“
Sie gab der Frau keine Gelegenheit zu antworten. Die Wärterin, die das linke Bein der Frau hielt, befahl den Frauen:
„Ist doch klar, dass sie nichts sagen will, macht mal hin und sucht noch mal.“
Raziyeh und Zeynab gingen weiter nach vorn, dabei schob Raziyeh ihre Hand vor, Zeynab ergriff ihre Haare und zog sie zurück:
„Raziyeh, Du kapierst es nicht, bring hier die Reihenfolge nicht durcheinander!“
„Was ist denn, Schwester, ist doch hier nicht die Schlange vor der Bäckerei, dass ich nicht an Dir vorbei kann. Das hat doch nichts mit dem Alter zu tun, ich habe mehr Erfahrung als Du, also muss ich als erste dran sein.“
„Nun halt mal die Klappe! Wenn Du so erfahren wärest, hättest Du es letztes Mal gefunden!“
Aus dem Persischen von Hartmut Niemann