Stella Gaitano
Ich sah, wie ich mich selbst erbarmungslos tötete. Ich erblicke mein anderes Ich, das sich in einer Uniform verschanzte, schwer bewaffnet war und quer über die Brust einen schweren Gürtel aus MG-Patronen trug [...] "Erkennst du mich nicht? Ich bin es. Ich bin du!"
Stella Gaitano, aus: Hurra, ich bin tot
Stella Gaitano ist eine bekannte südsudanesische Schriftstellerin und Aktivistin. Ihre Arbeiten konzentrieren sich auf die Auswirkungen des Krieges, die systematische sozio-politische Ungerechtigkeit gegenüber der marginalisierten sudanesischen Bevölkerung und entlarven die politischen und ideologischen Gründe für das Anzetteln von Kriegen und Gräueltaten.
In den letzten zwei Jahrzehnten hat sie Kurzgeschichten, Romane und journalistische Artikel veröffentlicht, außerdem wurde sie mit dem PEN Translates Award ausgezeichnet. Ihr Roman „Eddo’s Souls“ war das erste südsudanesische literarische Werk, das einen Literaturpreis erhielt. Ihre Werke wurden in renommierten internationalen Medien veröffentlicht und rezensiert, darunter die New York Times, Banipal, BBC Arabic und Al Jazeera.
Nach der Spaltung des Sudan vom Süd-Sudan wurde Stella staatenlos und verlor daraufhin ihre Arbeit. Aufgrund ihrer politischen Haltung und ihres Aktivismus geriet sie ins Visier nationalistischer und tribalistischer Kreise, die sie in den sozialen Medien angriffen. Sie hetzten die Öffentlichkeit auf, sie zu töten. Stella wurde zur Zielscheibe von Obszönitäten und offenen Hassreden.
Nachdem Stella als Kultur- und Menschenrechtsaktivistin Initiativen in Dafur auf den Weg bringen wollte, wiederholten sich Drohungen gegen sie und ihre Kinder und es kam 2021 zu erneuten tätlichen Angriffen.
Seit Juli 2022 ist Stella Gaitano Stipendiatin des Writers in Exile-Programms.
INTERVIEWS & BERICHTE
„Gehen oder Bleiben?”
Beitrag von Annabelle Steffes-Halmer für die Deutsche Welle über Stelle Gaitano, ihren Aktivismus und ein Diskussionspanel zur Kreativszene in Afrika, an dem sie teilnimmt (19.06.2022)
Textauszug
Hurra, ich bin tot!
Wie fliegende Schnurrbärte kreisen Geier an einem weit entfernten, blauen, sonnigen, heißen Himmel. Ich würge Tränen hinunter und trage eine im Leeren schwebende Panik in mir, aber mein Herz schlägt nicht. Vielleicht bin ich tot. Vielleicht tue ich auch nur so.
Ich beziehungsweise mein Leichnam liegt in einem Haufen anderer Toter. Hahaha. Andere Tote sage ich, so als würde ich sie nicht kennen. Jeden einzelnen von ihnen kenne ich! Hier ist mein Bruder, hier meine Schwester mit ihrem Säugling im Arm, da ist mein blinder Vater (ein anstrengender Mann!), und da hinten, das ist unser frömmelnder Nachbar in seiner ewigen Gebetshaltung, eine blutbefleckte Bibel in der Hand. Und da ist mein Freund, mit dem ich gestern noch um ein Glas verdorbenen Wein gestritten habe, und der Äthiopier, der eine improvisierte Bar am Ende unserer Straße betrieben hatte und bei dem wir immer gerne „Tusker“, „Nile Special“, „Seven Nights“ und andere billige Weinsorten gekauft haben. Sehen Sie mal, wie achtlos hingeworfen er daliegt! Die Angst steht ihm noch ins Gesicht geschrieben, und ganz aufgequollen ist er. Wenn man ihn jetzt so sieht, könnte man sagen, so ein fülliges Gesicht hätte ihm ganz gut gestanden. Seit Tagen oder Wochen liegen wir hier übereinandergetürmt, auf eine so lächerliche Weise, dass es dem Ernst des Todes überhaupt nicht angemessen ist.
Moment mal! Ich bin gar nicht traurig. Vielleicht bin ich ja wirklich tot! Warum schlägt denn mein Herz nicht? Vielleicht sollte ich etwas ernster sein. Ja, ich bin wirklich tot.
Es waren Legionen um Legionen, daran entsinne ich mich noch. Sie trugen Gewehre, MGs, Raketenwerfer und Handgranaten, und sie kamen zu Fuß und auf Fahrzeugen. Sie sahen uns ziemlich ähnlich, ja mir war, ich hätte mich selbst mit ebendiesen Augen gesehen, die jetzt von Würmern gefressen werden. Ich sah mich als Feldkommandeur. Wir waren die Armee und zugleich die Opfer. Das muss vom Wein kommen, sagte ich mir. Der Suff versetzt mich in Fantasiewelten. Aber lassen Sie mich die Geschichte zu Ende erzählen.
aus: Hurra, ich bin tot. Kurzgeschichte. Aus dem Arabischen von Günther Orth